Neues Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) - SozialGestaltung

Neues Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)

Enttäuschung über die (Mini-)Reform der Pflegeversicherung

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Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) sollen die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsverbesserungen in der Pflegeversicherung umgesetzt werden. Der vorliegende Entwurf stößt jedoch auf große Kritik von Sozialverbänden und Trägern. Während Bundesfinanzminister Christian Linder die Einhaltung der Schuldenbremse forciert, fehlen Gesundheitsminister Karl Lauterbach die finanziellen Mittel, um die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen. Das Resultat: eine Mini-Reform ohne innovatives Gesamtkonzept. Drängende Themen wie der eklatante Fachkräftemangel, der angesichts der demografischen Entwicklung zu erwarten ist, werden nicht adressiert. Die Regierung stimmt sich aktuell zum vorläufigen Gesetzesentwurf ab – weitere Gespräche innerhalb der Ampel-Koalition könnten sich angesichts der unterschiedlichen Parteipositionen als schwierig erweisen und umfangreiche Änderungsvorschläge mit sich bringen.

Hier die wesentlichen Eckpunkte des PUEG im Überblick:

  • Anhebung der Beitragssätze: Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung könnte zum 1. Juli 2023 um 0,35 Prozentpunkte angehoben werden (gegenwärtig 3,05 Prozent für Menschen mit Kindern und 3,4 Prozent für Menschen ohne Kinder). Geplant sind auch Änderungen je nach Zahl der Kinder. Bei Familien könnte dies – beginnend mit dem zweiten Kind – gestaffelte Abschläge vom regulären Satz (künftig 3,4 Prozent) bedeuten: Bei zwei Kindern wären es 3,25 Prozent, bei drei Kindern 3,1 Prozent, bei vier Kindern 2,95 Prozent.
    Inwiefern auch höhere Steuergeldzuschüsse aus dem Bundesetat kommen, ist vorerst offen. Die Bundesregierung erhält zudem die Rechtsverordnungsermächtigung zur Anpassung des Beitragssatzes, für den Fall, dass ein kurzfristiger Liquiditätsbedarf besteht.
  • Stärkung der häuslichen Pflege: Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld steigt laut Entwurf zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent, ebenso das Geld für Sachleistungen. Das Pflegegeld soll je nach Pflegegrad zwischen 316 und 901 Euro im Monat umfassen. Diese Anpassung wird von den Sozialverbänden als unzureichend angesehen.
  • Reduzierung der Eigenanteile in der stationären Pflege: Um den seit Jahren ansteigenden Zuzahlungen für Bewohner*innen in der stationären Pflege entgegenzuwirken, sollen die 2022 eingeführten Entlastungszuschläge ab 1. Januar 2024 angehoben werden. Die Erhöhung soll den Eigenanteil für die reine Pflege im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent reduzieren, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.
  • Mehr Unterstützung bei der Akutpflege von Angehörigen: Auch der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld wird ausgeweitet. Darüber hinaus soll es einen Gesamtleistungsbetrag für die Verhinderungs- und Kurzzeitpflege geben, der für beides genutzt werden kann.
  • Dynamisierung: Vorgesehen ist auch ein Mechanismus, um Geld- und Sachleistungen regelmäßig zu erhöhen – laut Entwurf ein Plus von fünf Prozent zum 1. Januar 2025. Zum 1. Januar 2028 sollen die Leistungen dann automatisch und dynamisch an die Preisentwicklung angepasst werden.

Sonstige Regelungen (Auszug):

  • Bereitstellung eines Förderbudgets von Ländern, Kommunen und der Pflegeversicherung zu „Modellvorhaben für innovative Unterstützungsmaßnahmen und -strukturen für Pflegebedürftige vor Ort und im Quartier“ (50 Mio. € p.a.)
  • Verlängerung des Förderprogramms zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf bis zum Ende des Jahrzehnts (100 Mio. € p.a.)
  • Gründung eines Kompetenzzentrums „Digitalisierung und Pflege“ beim Spitzenverband der Pflegekassen für den Zeitraum 2023 bis 2027
  • Aufbau eines elektronischen Informationsportals zur Erleichterung der Suche nach freien Pflegeplätzen und -angeboten ab dem 1. April 2024
  • Verpflichtende Anbindung der ambulanten und stationären Pflege an die Telematikinfrastruktur ab dem 1. Juli 2024
  • Beschleunigung der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen
  • Verbesserung des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit
  • Erhöhung der Transparenz in der Pflege, etwa durch die Veröffentlichung der Landesrahmenverträge

Bewertung

Die dringend notwendige Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung bleibt auch nach 15 Monaten Ampelkoalition aus. Dabei gab es in der Vergangenheit genügend Vorschläge für eine umfassende Pflegereform – doch weder die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung noch der Sockel-Spitze-Tausch oder der Zuschuss der Länder für die pflegerische Infrastruktur finden sich im aktuellen Entwurf wieder. Die langsame pflegepolitische Entwicklung könnte dazu führen, dass die Pflegeversicherung zukünftig an die Grenzen ihrer Zahlungsfähigkeit und damit auch Handlungsfähigkeit gelangt.
Es ist davon auszugehen, dass die Kosten weiter steigen, die Pflegebedürftige für die pflegerische Versorgung, Unterkunft und Verpflegung im Heim aufbringen müssen. Neben einem weiterhin bestehenden Sozialhilfebedarf der Pflegebedürftigen hemmt dies auch die mit Mehrausgaben verbundenen, notwendigen Investitionen in die Pflegeinfrastruktur.

Investitionsstau birgt erhebliche Gefahr für wirtschaftliche Existenz vieler Einrichtungen

Das aktuelle Trendbarometer der SozialGestaltung GmbH zeigt: Würde der bereits bestehende Investitionsstau in der Pflege noch weiterwachsen, wäre das ein handfestes Problem. Denn wenn notwendige investive Maßnahmen, insbesondere zur Entlastung des Personals, der Förderung der Digitalisierung oder der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells nicht umgesetzt werden können, stellt dies eine erhebliche Gefahr für die wirtschaftliche Existenz vieler Einrichtungen dar – und damit für die Versorgung und Betreuung von Pflegebedürftigen allgemein. Dieser Entwicklung muss auf Systemebene entgegengewirkt werden, damit das Versorgungssystem zukunftsfähig bleibt.

Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) kritisierte den Reformentwurf als ungenügend. Die jetzt vorgeschlagenen Leistungserhöhungen reichten nicht aus, um echte Entlastungen zu schaffen. Die Pflegeeinrichtungen bräuchten ein Sofortpaket zur Unterstützung. Der Sozialverband VdK forderte hingegen höhere Entlastungen für Pflegehaushalte. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) warnte gar vor einem Kollaps der Pflegefinanzierung in Deutschland. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte Steuerzuschüsse zur Refinanzierung. Der AOK-Bundesverband sprach sich ebenfalls für eine Übernahme versicherungsfremder Leistungen durch den Bund aus.